Sonntag, 8. Juni 2014

Brecht zitiert im Bundestag

Am 04.06.2014 kam es im Bundestag zu tumultartigen Szenen.

Es ging um das Thema Ukraine. Ein Thema, bei dem man in der Vergangenheit aber auch aktuell von verschiedenen Seiten nicht sehr viel Fingerspitzengefühl gezeigt hat. Viele Äusserungen waren unbedacht und führten keineswegs zu einer Entspannung der Lage. Tatsachen wurden und werden ignoriert. Alte Feindbilder werden hervorgeholt und der Russe stand wieder einmal kurz vor der Haustür. Geschichtsglitterungen waren gehäuft zu beobachten.

Janukowitsch war ein demokratisch gewähltes Oberhaupt eines Staates, der in einer konfliktreichen Zone liegt. Geopolitisch mit machtpolitischem Interesse. Ein Land, das auch verschiedene Volksgruppen in sich vereint hatte.

Wenn ein gewählter Präsident nicht das tut, was das Volk will, dann kann man das kritisieren, dann kann und muß man protestieren ! Waren in der Ukraine aber nicht noch mehr zunächst unsichtbare Konflikte vorhanden ? Das wäre eine wichtige Frage gewesen. Aber die Ereignisse überschlugen sich, Zeit für Analysen gab es kaum. Immer wenn Menschen uneinig sind, ist es auch auf mangelnden Austausch zurück zu führen. Im Fall der Ukraine war es dann aber auch so, dass Großmachtinteressen unterschwellig eine Rolle spielten. Aber nicht einseitig von Russland aus, wie bis heute immer wieder behauptet wird. Vergessen wird immer auch, dass es um die Menschen gehen sollte bei der politischen Ausgestaltung ! Gut möglich, dass die eine oder andere Volksgruppe in 10 Jahren aussagen wird: Mein Gott, was haben wir damals nur getan. Dann werden die Pfründe verteilt sein und das "gemeine" Volk wird sich die Augen reiben. Die Frage wäre also: Wo wären sie besser gefahren: Auf der Einen oder der anderen Seite. Eine mühseelige Frage, die erst die Zukunft beantworten kann.

Im Bundestag nun ging es um die Bewertung der Ereignisse. Und da hatte Katrin Göring-Eckardt die Linke Sarah Wagenknecht scharf angegriffen:

"Meine Damen und Herren, die Krise in der Ukraine
zeigt uns sehr gut, wie sehr wir Frieden und Rechtsstaat-
lichkeit zu schätzen wissen sollten. Der Kampf dafür
hier bei uns ist eben auch ein Zeichen für die Leute, die
dort mit ihrem Leben dafür eintreten, dass das gelingt.
Frau Wagenknecht, wenn ich mir Ihr Weltbild anschaue,
das Sie uns heute hier präsentiert haben,
(Zuruf von der LINKEN: War gut, nicht?)
dann muss ich sagen: Kein Wort über die Krim, kein
Wort über den Exodus der Tataren, kein Wort darüber,
dass dort tatsächlich Wahlen stattgefunden haben! Ent-
schuldigung, bedeutet Ihnen denn das gar nichts?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU und der SPD)
Sie reden hier wieder von dem Einfluss von Neofa-
schisten in der Regierung der Ukraine. Meine Güte, diie
haben am Sonntag, als auch die Europawahl stattfand,
bei der Wahl zum Präsidenten der Ukraine noch nicht
einmal 2 Prozent der Stimmen bekommen. Können Sie
das wenigstens einmal zur Kenntnis nehmen, auch wenn
das vielleicht einen Moment an Ihrem Weltbild kratzt,
Frau Wagenknecht?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU und der SPD)
Wenn Sie sich hierhinstellen und versuchen, mit bil-
ligstem Populismus auf dem Rücken der Menschen in
der Ukraine, die es wahrlich nicht leicht haben, ich weiß
nicht was zu erreichen – möglicherweise wollen Sie in
Ihrer eigenen Partei eine Mehrheit bekommen; manch-
mal scheint mir das der eigentliche Grund für Ihre Rede
zu sein –, dann kann ich nur sagen: Das geht nicht. Dort
versuchen Menschen, ein demokratisches Land aufzu-
bauen, dort versuchen Menschen, für Frieden zu sorgen.
Sie werden unterstützt, ja, sie werden auch von uns
unterstützt. Wer das nicht akzeptiert und wer das nicht
mit unterstützt, der stellt sich außerhalb von Friedens-
bemühungen und außerhalb von Demokratie.........." usw.


Nun kann man einen Redebeitrag ja so gestalten, wobei  man schon einmal die Frage stellen dürfen muß: Welcher "Exodus" der Tartaren wird hier angesprochen ?  Und die Rechten und Faschisten sind nunmal stark vertreten in der Regierung in Kiew. Diese Rede einer Katrin Göring Eckardt provoziert, spaltet und trägt keineswegs zu einer vernünftigen Deeskalierung bei.. Die MdB Dagdalen hat danach das Wort ergriffen: 

 

Frau Kollegin Göring-Eckardt, Ihre Rede gerade erin-
nerte mich an den großen Dichter und Denker Bertolt
Brecht, der einmal treffend formuliert hat:
Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein
Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge
nennt, der ist ein Verbrecher!
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Reden Sie über
sich?)
Es entsetzt mich – ich bin darüber wirklich schockiert –,
dass Sie hier die Behauptung aufstellen, dass sich mit
den geringen Stimmenzahlen für die Kandidaten der
Swoboda oder des Rechten Sektors das Problem des
Neofaschismus, das Problem des Antisemitismus in der
Ukraine erledigt habe.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Unverschämt ist
das!)
Sie wissen ganz genau, dass das nicht stimmt. Drei
Minister der Regierung in Kiew, also der Regierung der
Ukraine, sind Mitglied der neofaschistischen Partei
Swoboda. Ein Minister dieser Regierung steht der
Swoboda nahe. Ein weiterer Minister gehört der UNA-
UNSO, einer neofaschistischen Organisation, an. Das
heißt, eigentlich haben fünf Minister dieser Regierung
einen neofaschistischen Hintergrund. Der Rechte Sektor
kontrolliert weiterhin den ukrainischen Sicherheitsappa-
rat.
(Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
 
Sie haben vergessen, davon zu sprechen, dass der Prä-
sidentschaftskandidat der extrem rechten Radikalen Par-
tei, Oleg Ljaschko, über 1,5 Millionen Stimmen und
damit über 8 Prozent bei der sogenannten Präsident-
schaftswahl bekommen hat. Sie haben von diesen Wah-
len gesprochen, ohne auch nur ein einziges Mal darauf
hinzuweisen, unter was für Kriegsumständen sie stattge-
funden haben.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist aber mal
Schluss hier!)
Kandidatinnen und Kandidaten, zum Beispiel von
Borotba oder der KP in der Ukraine, und viele andere
haben ihre Kandidaturen zurückgezogen, weil sie von
Faschisten bedroht worden sind. Der Kandidat der Partei
der Regionen ist während seiner Kandidatur unter Haus-
arrest gestellt worden. Wie kann man da eigentlich von 
 freien, fairen Wahlen sprechen, frage ich Sie
 
(Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]
 
 
Ich bin wirklich entsetzt darüber, wie hier die Fa-
schisten, die Antisemiten verharmlost werden.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist aber mal
Schluss! Das ist unglaublich! – Zurufe vom
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich bin entsetzt über diesen Tabubruch der deutschen
Außenpolitik, die von Ihnen, Frau Kollegin, mitgetragen
wird. Das ist wirklich schändlich.
 
(Beifall bei der LINKEN – Zurufe vom BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN: Unverschämt! –
Florian Hahn [CDU/CSU]: Peinlich! Peinlich
für dieses Haus hier!
 
Wie man nun hernach aus diesen Sätzen den Vorwurf machen kann, Dagdelen hätte Göring-Eckardt eine Verbrecherin genannt, ist schon eine Ungeheuerlichkeit. Dass man sich von der Linken Spitze dann auch noch von der Aussage Dagdalen distanziert hat wirft viele Fragen auf . Eine Auseinadersetzung mit dem Inhalt des Gesagten gab es nicht.  D. hat Brecht zitiert. Dabei hat sie nicht persönlich angegriffen. Zitate werden vorgebracht, um Andere zum Nachdenken oder zur Umkehr des Gesagten zu bringen vielleicht. Wenn ich aber den anderen "Verbrecher" nennen will, bedarf es keines Zitats. Was also für ein Hype um diese Aussage. Erwähnt sollte dann auch noch sein, dass Heiner Geissler dieses Zitat auch schon verwendet hat. Dazu aus einem Spiegel-Artikel:
 
Willy Brandt hat den Christdemokraten dafür "den größten Hetzer seit Goebbels" genannt. Die Methoden Geißlers, so die SPD in einer Dokumentation, wirken, wie der Nazi-Propagandaminister es vorgegeben hat: "Das Wesen der Propaganda ist unentwegt die Einfachheit und die Wiederholung. Nur wer die Probleme auf die einfachste Formel bringen kann und den Mut hat, sie auch gegen die Einsprüche der Intellektuellen ewig in dieser vereinfachten Form zu wiederholen, der wird auf die Dauer zu grundlegenden Erfolgen in der Beeinflussung der öffentlichen Meinung kommen."
Niemals hat Geißler, darauf ist er stolz, irgendeinen seiner Anwürfe bisher zurücknehmen müssen. Denn er schmeißt seinen Schlamm nur los, wenn er sich zuvor vergewissert hat, daß er juristisch nicht zu belangen ist. Oft sucht er stunden-, ja nächtelang nach passender Munition. Etwa im letzten Wahlkampf 1983: Da forschte er lang nach einem Zitat Bert Brechts, mit dessen Hilfe er die Sozis herabsetzen konnte. Die Genossen, die Mieterhöhungen als Folge neuer Mietgesetze der Kohl-Regierung angeprangert hatten, wurden von Geißler mit Brecht beschimpft: "Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher."
SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz spendet in seinem neuesten Buch "Kampagne in Deutschland. Politisches Tagebuch 1981-1983" dem politischen Gegner nachträglich professionelles Lob. Unter dem 20. Januar 1983, wenige Wochen vor der Wendewahl, notiert Glotz:
" Geißler hat mit seinem "Verbrecher"-Kunststück der "
" sozialpolitischen Kampagne der SPD die Kraft genommen. "
" Die Wortbrutalität mit dem rabulistisch aus einem "
" Brecht-Zitat herausgeholten "Verbrecher" hat zuerst "
" einmal drei Tage lang die öffentliche Debatte bestimmt "
" und Inhalte weggedrückt. Wir haben zu diesem Erfolg "
" beigetragen, indem viele von uns mit echter Empörung auf "
" Geißler antworteten. Und dann hat der von ihm stereotyp "
" verwandte Begriff der "Lüge" (Wehner lügt, Rentenbetrug "
" usw.) seine Wirkung getan. "

Die Sozialdemokraten bekamen schon einen Vorgeschmack, was der christliche Propagandachef jetzt gegen Rote und Grüne auf der Pfanne hat. Die Grünen seien der "Volkssturm der SPD". Und er rückte die  .....usw.
 
 

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